Lloyd Cole: On Pain

Lloyd Cole credit Mark Dellan

Mit „Guesswork“ schlug Lloyd Cole vor vier Jahren einen neuen Weg Richtung Artpop ein. Gelingen ihm nun auch auf „On Pain“ so faszinierende Synthie-Songs?

von Werner Herpell

Es dauert nur die ersten paar Sekunden des Openers und Titelsongs von Lloyd Coles neuem Album „On Pain“ – und man erkennt, dass der Vorgänger „Guesswork“ (2019) keine Synth-Pop-Eintagsfliege dieses großen britischen Singer-Songwriters war. Für manche Fans seiner Gitarrenpop-Meisterwerke mit The Commotions in den mittleren 80er Jahren mag das eine ernüchternde Nachricht sein. Wer aber den langen Karriereweg des mittlerweile 62-Jährigen intensiver verfolgt hat (so wie dieser Schreiber), der weiß gerade auch die stilistische Umorientierung der vergangenen Jahre zu schätzen.

Eine Künstlichkeit, die von Cole gewollt ist

Lloyd Cole On Pain Cover earMUSIC

Coles 16. Studioalbum ist mit acht Liedern in gut

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37 Minuten ein kompaktes Werk, und es ist eines, das man sich erschließen muss mit seinen intensiven Keyboard-Schwaden, den elektronischen Rhythmen und teilweise verfremdeten Vocals, die ihre Künstlichkeit gar nicht verleugnen wollen. Im Kern ist diese Platte jedoch purer Lloyd Cole: die Melancholie in der dunklen warmen Stimme und den edlen Melodien, die klugen, auch mal rätselhaften Lyrics, die schon vor 40 Jahren spürbare, nun immer stärker hervortretende souveräne Reife dieses Musikers – alles da, auch auf „On Pain“. Nur eben anders verpackt als auf dem legendären Folkrock-Debüt „Rattlesnakes“ (1984) oder dem opulenten Songzyklus „Love Story“ (1995).

Cole lässt im Gespräch mit Sounds & Books denn auch keinen Zweifel daran, dass er zu dem eingeschlagenen Weg hundertprozentig steht – dass also die neuerliche Artpop-Ausrichtung von „On Pain“ nicht etwa nur den Beschränkungen der Pandemie geschuldet war. Je älter er geworden sei, desto mehr habe er elektronische Musik gehört. „Also wollte ich ein Album machen, das der Musik ähnelt, die ich selber hören mag. Daher unterschied sich ‚Guesswork‘ sehr von meinen früheren Sachen. Und als das erreicht war, dachte ich: Okay, das geht also, nun schauen wir mal, wie wir das weiterentwickeln können. (…) Das minimalistische Zeug sollte noch minimalistischer werden, das poppige Zeug noch poppiger, das abstrakt klingende Zeug noch abstrakter.“

Inspiration durch The Blue Nile

Unter diesen Vorzeichen gelang es dem Wahl-Amerikaner, in seinem Home-Studio in Massachusetts einen Sound zu erschaffen, der mal an Scott Walker („Wolves“), mal an den älteren Peter Gabriel („More Of What You Are“), noch häufiger aber an seine Glasgower Kollegen The Blue Nile erinnert. Deren schönstes, für viele auch bestes Album „Hats“ (1989) schimmert in fast allen aktuellen Cole-Songs durch – und er freut sich über den Vergleich des Interviewers: „Ja, diese Musik war für mich sehr inspirierend. Und daher habe ich überhaupt kein Problem damit, wenn meine aktuellen Sachen mit ‚Hats‘ verglichen werden – das ist für mich ja immerhin die beste Platte überhaupt von einer schottischen Band.“

Textlich ist „The Idiot“ der wohl spannendste Track von „On Pain“ – hier geht es „um zwei Menschen, die sich gegenseitig retten vor einem fast sicheren Tod“, sagt Cole. Natürlich sind David Bowie und Iggy Pop gemeint, die sich nach einem drogenbedingten Niedergang Mitte der 70er Jahre zeitweise in Berlin zusammentaten, um in der damaligen Mauerstadt zu regenerieren (und um letztlich legendäre Platten wie „Low“/“Heroes“ beziehungsweise „The Idiot“/“Lust For Life“ zu erschaffen). „Bowie war davor ja schon mal leblos in seinem Haus gefunden worden, und Iggy Pop lebte zeitweise auf der Straße“, erzählt Cole. „Es ist einfach eine schöne Sache, dass beide dann 1976/77 zusammen lebten und sich gegenseitig retteten.“ Der staunende Refrain „How are we still alive?“ dürfte jeden Verehrer von David und Iggy berühren.

Lloyd Cole hat „schon einige tolle Ideen“

Auf „On Pain“ beweist Lloyd Cole erneut (und die Gitarrenpop-Retro-Romantiker mögen es ihm nachsehen), dass er mit Hilfe einiger weniger guter Freunde (Neil Clark, Blair Cowan, Joan Wasser, Dave Derby, Chris Hughes) so komplexe wie zugängliche Klangbilder auch aus Keyboards und Computern generieren kann. Letztlich sei es doch egal, wie die Songs entstehen, solange sie nur den Hörer ansprechen. „Ich will das Leben von anderen Menschen bereichern, so wie die Musik mein Leben bereichert hat“, sagt Cole. „Das ist eigentlich eine ganz einfache Ausrichtung für die Zukunft. Ich bin jedenfalls definitiv noch nicht fertig und habe schon einige tolle Ideen für mein nächstes Projekt.“ So fit, wie der passionierte Golfspieler und Radfahrer derzeit wirkt, sind von ihm noch viele bereichernde Alben zu erwarten.

„On Pain“ von Lloyd Cole erscheint am 23.06.2023 bei earMUSIC/Edel. (Beitragsbild von Mark Dellan)

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